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Text: Simone Sterr
Mitarbeit: Ralf Siebelt und das Ensemble der bremer shakespeare company

Die Schritte
zum Stück

Simone Sterr zur Geschichte des Projekts

2019. Im Herbst. Der Regisseur Ralf Siebelt hatte mit dem Ensemble der Company im Frühjahr gerade DIE WIDERSPENSTIGE, eine zeitgenössische Überschreibung von Shakespeares aus feministischer Perspektive höchst zweifelhaftem Stück „Der Widerspenstigen Zähmung“ erarbeitet. Was könnte das nächste Projekt sein, was der dringliche Stoff, den wir unbedingt auf die Bühne bringen möchten?

Das Meer. Die Naturgewalt und die Gewalt, die der homo sapiens dieser Natur antut. Der vom Menschen gemachte Klimawandel, die Schuld und die Verantwortung, die daraus erwächst. Das Themenfeld ist schnell gefunden. Dann dauert es. Sehr lange. Gemeinsam gehen, forschen, verwerfen wir und machen viele Schritte, wilde Sprünge, schlagen Haken, nehmen Umwege, halten inne - bis wir zu 99 SCHRITTE ZUM MEER kommen. Neugier, Respekt, Wertschätzung bei gleichzeitiger Streitlust prägen den Prozess.

Die erste Idee ist eine, die schon lange durchs Ensemble geistert: „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne. Ein Stoff, aus dem für einige von uns die Hoffnung ist, etwas erzählen zu können über Forscherdrang, Entdeckergeist, das spannungsreiche Verhältnis von Mensch und Natur zwischen Demut und Machtausübung. Doch wie tauglich ist dieser vor Begeisterung für die technischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts strotzender Abenteuerroman für unsere Gegenwart? So verlockend es auch sein mag mit Kapitän Nemo in die Tiefsee zu sinken und hinter der Glasscheibe der Nautilus faszinierende Unterwasserwelten zu erleben: das, was uns gerade umtreibt bekommen wir damit wohl nicht erzählt.

99 Schritte

Also: Recherche! Die digitalen Ordner (kein bedrucktes Papier beim Thema Klimawandel!) und geteilten Plattformen füllen sich mit wissenschaftlichen Studien, die dropbox läuft über vor Fakten und Filmen, Berichten und Büchern, Heutigem und Historischem.

Das Tagebuch der Arktisexpedition von Johan Ludwig Björvik zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird genauso verschlungen wie der Bericht „Klimawandel in der Schweiz -Indikatoren zu Ursachen, Auswirkungen, Maßnahmen“, der am Modell des kleinen Landes die Klimaveränderungen und das, was wir dagegen unternehmen können aufzeigt. Was ist passiert in fast 1 1⁄2 Jahrhunderten - von der Erfindung der Elektrokutsche 1888 bis heute - in der Wissenschaft, der Politik, der Wirtschaft? Wer hat wem wann nicht zugehört? Vielfach ist die Menschheit in Sachen Umwelt- und Klimaschutz falsch abgebogen: die Verhinderung des 3-Liter Autos durch die Automobillobby, der Ausgang der USA Wahl zu Ungunsten des Klimaschützers Al Gore, die Subventionierung der Kohle-und Stahlindustrie…. Immer wieder die resignierende Erkenntnis, wie viel wir schon so lange wissen und wie wenig wir wirklich tun. Das wird beim Studium der Protokolle der Weltklimakonferenzen besonders schmerzhaft. So warnt der Meteorologe und Klimaforscher Hermann Flohn bereits bei der ersten Konferenz 1979 in Genf vor den Auswirkungen des erhöhten Co2 -Ausstoßes, vor der Erderwärmung, den steigenden Meeresspiegeln, vor Naturkatastrophen wie Dürre und Überschwemmungen. Das, was er als besorgniserregende Zukunftsperspektiv zeichnet ist dabei exakt genau die Gegenwart, in der wir jetzt leben. Wir hätten es nicht nur besser wissen können, wir wussten es tatsächlich und hätten es besser machen müssen. Oder gibt es tatsächlich noch ernstzunehmende Zweifler am menschengemachten Klimawandel?

Der Regisseur liest sich durch 459 Seiten „Unerwünschte Wahrheiten“ von Fritz Vahrenholt. Eine Provokation, „false balance“ und der Beginn einer Diskussion, welchen Stimmen der Abend Gehör schenken, welche er selbst erheben möchte. Und in welcher Form.

»Wir wissen
alles und es
passiert: nichts«

(Zitat aus 99 Schritte zum Meer)

Schauspieler*innen liegen im gemütlichen Schaumbad und hauen sich die Fakten darüber um die Ohren, was passiert, wenn weiterhin nichts passiert. Mir gefällt diese Phantasie des Regisseurs. Ein Bild für unseren Umgang mit der drohenden Katastrophe. Doch die Spieler*innen haben, nach dem sie mit schwirrendem Kopf und zweifelnden Gemütern den Berg des Materials erklommen haben, den Wunsch nach Rollen und die Aussicht auf eine Geschichte.

Ich schicke Figuren auf die Reise, die niemals ankommen, entwerfe Szenen und verwerfe sie, erschaffe Leben und vernichte es im digitalen Papierkorb. (Kein bedrucktes Papier beim Thema Klimawandel!) Haben wir uns überhoben mit diesem Projekt? Wollen wir zu viel und können zu wenig? Was können wir? Was ist die Stärke des Theaters, was die der Company? Die großen Themen, gespiegelt in einer kleinen menschlichen modellhaften Konstellation. Das Individuelle, das in der glaubhaften Darstellung universell wird und die ganze Welt auf eine Bühne bringt. Shakespeare. Dann doch wieder.

99 Schritte

Was bedeutet das für unser Vorhaben, das nach einem kurzen Ausflug zum Arbeitstitel „Am Ende ist man immer schlauer“ bis dahin noch immer „Klimaprojekt“ heißt? Eine Familiengeschichte: die Familie als kleine politische Einheit, an der sich Großes erzählen lässt. Welche Spur hinterlässt man, was gibt man weiter. Schuld und Schulden. Vermögen und Verantwortung. Verschiedene Vorstellungen von Glück über die Generationen hinweg. Konflikte ums Glück. Wir beschäftigen uns mit vom Klimawandel betroffenen Familienexistenzen. Auch mit der Hoteliersfamilie auf Langeoog, die mit 9 weiteren Familien aus aller Welt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EU-Klimapolitik klagt. Die Folie unserer Geschichte ist gefunden. Eine Geschichte über das Erben und Vererben, über Tod und Untergang über den schmalen Grad zwischen Liebe und Abhängigkeit, über Angst und Ausbeutung über das Leben von und mit der Natur. Es ist unsere Geschichte zum Klimawandel, und unser Ergebnis einer gemeinsamen Reise zu diesem Thema.

99 Schritte

2021. Im Frühjahr. Das Ensemble liest die erste Fassung. Zwei Tage Austausch, Anmerkungen, Anregungen. Vier Wochen später. Der Text 99 SCHRITTE ZUM MEER ist fertig. Leseprobe. Die Reise ist zu Ende. Die Reise beginnt…


Fragen an
das Ensemble

Jojo Büld
Musiker

»Was müsste passieren und was davon traust du dir zu umzusetzen?

Schweinehund überwinden…dann traue ich mich alles!

»Was hindert dich daran, es umzusetzen?

Das miese Tier siehe oben!


Michael Meyer
Schauspieler

»Gibt es eine Lektüre, Film, Musik, Begegnung, die dich während des Arbeitsprozesses inspiriert beeindruckt, provoziert hat?

Hyperion von Friedrich Hölderlin: Was ist der Mensch? konnt ich beginnen; wie kommt es, daß so etwas in der Welt ist, das, wie ein Chaos, gärt, oder modert, wie ein fauler Baum, und nie zu einer Reife gedeiht? Wie duldet diesen Herling die Natur bei ihren süßen Trauben? Zu den Pflanzen spricht er, ich war auch einmal, wie ihr! und zu den reinen Sternen, ich will werden, wie ihr, in einer andren Welt! inzwischen bricht er auseinander und treibt hin und wieder seine Künste mit sich selbst, als könnt er, wenn es einmal sich aufgelöst, Lebendiges zusammensetzen, wie ein Mauerwerk; aber es macht ihn auch nicht irre, wenn nichts gebessert wird durch all sein Tun; es bleibt doch immerhin ein Kunststück, was er treibt.

O ihr Armen, die ihr das fühlt, die ihr auch nicht sprechen mögt von menschlicher Bestimmung, die ihr auch so durch und durch ergriffen seid vom Nichts, das über uns waltet, so gründlich einseht, daß wir geboren werden für Nichts, daß wir lieben ein Nichts, glauben ans Nichts, uns abarbeiten für Nichts, um mählich überzugehen ins Nichts – was kann ich dafür, daß euch die Knie brechen, wenn ihrs ernstlich bedenkt? Bin ich doch auch schon manchmal hingesunken in diesen Gedanken, und habe gerufen, was legst du die Axt mir an die Wurzel, grausamer Geist? und bin noch da.
O einst, ihr finstern Brüder! war es anders. Da war es über uns so schön, so schön und froh vor uns; auch diese Herzen wallten über vor den fernen seligen Phantomen, und kühn frohlockend drangen auch unsere Geister aufwärts und durchbrachen die Schranke, und wie sie sich umsahn, wehe, da war es eine unendliche Leere.
O! auf die Knie kann ich mich werfen und meine Hände ringen und flehen, ich weiß nicht wen? um andre Gedanken. Aber ich überwältige sie nicht, die schreiende Wahrheit. Hab ich mich nicht zwiefach überzeugt? Wenn ich hinsehe ins Leben, was ist das Letzte von allem? Nichts. Wenn ich aufsteige im Geiste, was ist das Höchste von allem? Nichts.

Und dann noch der Film „Das Salz der Erde“ von Wim Wenders über den Fotografen Sebastiao Salgado, „Der Schwarm“ von Frank Schätzing, „Kleine Gase, große Wirkung“ von David Nelles und Christian Serrer , „Klima versus Kapital“ von Naomi Klein.

»Welches Gefühl verbindest du mit dem Begriff „Klimawandel“?

Auf der emotionalen Ebene lässt mich das Wort erst einmal kalt- nur wenn ich gedanklich auf die ganzen Begleitumstände schaue, wie Katastrophen weltweit, politische Untätigkeit, das Wissenschaftsleugnen, dann erzürne ich oder bekomme Angst, aber vor allem bleibt eine große Verwirrung und Fassungslosigkeit angesichts der Fülle an wichtigen Maßnahmen, die man ergreifen müsste, um eine gewaltige Krise für die Menschheit abzuwenden. Wenn ich wieder zurück auf das Wort blicke, befällt mich eine gewisse Leere und Müdigkeit, da ich meine zu sehen, wie sehr wir eine Verbindung zu uns und unserem Leben in den natürlichen Abläufen verloren haben - wir trudeln in einer Leere. Zwar sind unsere Häuser voll mit Dingen, aber ich zweifle, dass sie eine größere Bedeutung haben. Es gibt zwar die Schwerkraft, aber die seelische Bodenhaftung ist verloren gegangen - vermute ich.


Peter Lüchinger
Schauspieler

»Wir wissen alles und es passiert: nichts«

Wir wissen nur scheinbar viel oder sogar alles. Wenn wir alles wüssten, dann müssten wir auch wissen, welche Schritte zu tun wären, um den Wandel erfolgreich einleiten zu können. Die Wissenschaft sollte den Verursacher*innen verständliches Wissen geben. Aber nur die Wissenschaft allein kann nicht die richtigen und erfolgversprechenden Handlungsanleitungen geben, sie kann viele erfolgsversprechende Anstöße und Vorgehensweisen vorschlagen und aufzeigen. Aber auch die besten Erkenntnisse können nicht alle erfolgreich und schnell und „schmerzfrei“ zum Ziele führen, es werden Fehler oder Irrwege gemacht werden müssen. Diese Umwege sollten alle Akteur*innen nicht davon abhalten weiterzusuchen, die Ziele zu korrigieren aber nicht aus dem Auge zu verlieren. Den Erkenntnissen der Wissenschaft sollte mehr Gehör verschafft werden, ihre Ideen und Umsetzungsangebote sollten von der Politik, den Verursacher*innen, kurz der Gemeinschaft in einem Pakt festgezurrt werden. Dieser Pakt muss mit irgendeiner „Belohnung“ einhergehen und diese Belohnung muss für alle Seiten erlebbar gemacht werden, d.h. die Frage nach einer neuen Definition von Lebensqualität in allen Lebensbereichen muss wertungsfrei gestellt werden. Der Modus immer weiter, grösser, schneller wird über kurz oder lang zum Kollaps führen. Der Kapitalismus und die sogenannte soziale Marktwirtschaft basiert immer noch auf dem irren Glauben, dass Wachstum der einzige richtige Motor fürs weiterkommen ist und ohne Wachstum die anstehenden Probleme nicht gelöst werden können. Solange wir an dieser Wachstumsspirale hängen, werden die Bilanzen auf allen Gebieten immer negativ bleiben. Dass der liberale Markt die Herausforderungen löst, das glaube ich nicht, sonst hätten wir sicher schon heute viele Neuerungen, Innovationen, Erfindungen die klimaschonender sind um im täglichen Gebrauch angewendet werden können.

»Was müsste passieren und was davon traust du dir zu umzusetzen?«

Konkreter Vorschlag: ein individueller Energiezähler, d.h. wieviel Energie verbrauche ich täglich. Erfassung von persönlich verbrauchter Energie, (Essen, Heizen, Kleidung, Haushalt, Mobilität, Wohnen) Von diesem Verbrauch persönliche Einsparung 10% jährlich. - Ziel in 5 Jahren Energieeinsparung 50 %. - was jeder Einzelne messen kann, die Resultate sichtbar machen, das überzeugt vielleicht, und wenn noch Hilfestellungen angeboten werden, wie mit Energie sinnvoll, schonend, wertvoll umgegangen werden kann… 10% klingt wenig, aber auf 5 Jahre gesehen ist das eine Halbierung des Verbrauchs… und die Zeit braucht es sicherlich, um die gewohnten Lebensformen zu verändern. Gleichzeitig müsste dies im öffentlichen Sektor geschehen, die Einsparungen, die Rückgewinnung müssen langfristig belohnt werden.

»Was hindert dich daran, es umzusetzen?«

Im Grunde nichts - ich müsste anfangen damit, einen Startpunkt setzen. - Im Kleinen setze ich an, aber in der Radikalität wirkliche und zählbare Einschränkungen zu machen und auch durchzuhalten, scheitere ich öfters…

»Welches Gefühl verbindest du mit dem Begriff „Klimawandel“ ?«

Dass das Klima immer einem Wandel unterworfen ist, gehört zur Geschichte der Erde, wie dieser Wandel empfunden wird, können wir mit den heutigen Analysen mit belastbaren Aussagen fassbarer machen, aber leider nicht auf allen Gebieten, unser Wissen ist begrenzt. Das Klima wird immer sein „eigenes“ Leben haben, es wird sich nicht an unsere Bedürfnisse, Möglichkeiten, Wünsche anpassen. Das Erdenklima ist wiederum auch nur ein Teil von einem größeren Wandel, eingebettet in einem mächtigeren System - Das soll aber nicht heißen, dass unser menschliches Dasein, ob in der Vergangenheit oder in der Gegenwart nicht viele Spuren hinterlassen hat und hinterlässt, die den Wandel auf die eine oder andere Weise irreversibel beinflussen und beschleunigen. Aus heutigem Erkenntnisstand bewegt sich dieser Wandel zu einem sehr großen Teil in eine falsche Richtung anders gesagt, in eine Richtung, die in der Konsequenz wohl mehr Opfer als Gewinner hervorbringen wird, auf allen Ebenen. Die Natur als Teil des Klimas kann diesem beschleunigten Wandel nicht das Nötige entgegensetzen. Die Anpassungskräfte sind bis zu einem gewissen Masse erschöpft. Also gilt es einen Zusammenschluss zu bilden zwischen der Natur und dem menschlichen Handeln… mit dem Ziel, das Gegeneinander auszugleichen.


Markus Seuss
Schauspieler

»Was müsste passieren und was davon traust du dir zu umzusetzen?«

Da wir so ziemlich mit dem Rücken zur Wand stehen, gibt es wohl nur eine Möglichkeit: Mit Kindern und jungen Menschen sprechen und allen Mut zusammen nehmen, den wir haben. Wir brauchen strukturelle Veränderungen unseres Zusammenlebens.

»Wenn wir es gut machen, bringt uns das als Gesellschaft in Diskussion über Werte und Utopien. Dann ist es ein grosses Abenteuer und eine riesige Chance.«

»Was hindert dich daran, es umzusetzen?«

Der Alltag (…die alte Sau), falsche Prioritäten, Furcht, Faulheit

»Gibt es eine Lektüre, Film, Musik, Begegnung, die dich während des Arbeitsprozesses inspiriert, beeindruckt, provoziert hat?«

Ein Text aus dem vergangenen Jahrhundert von einem berühmten deutschen Dichter:

Sie sind die wahren Anarchisten
Lieben das Chaos räumen ab
Kennen keine Rechte
Keine Pflichten
Noch ungebeugte Kraft
Massenhaft
Ungestümer Stolz
Gebt den Kindern das Kommando
Sie berechnen nicht
Was sie tun
Die Welt gehört in Kinderhände
Dem Trübsinn ein Ende
Wir werden in Grund und Boden gelacht
Kinder an die Macht.

»Welches Gefühl verbindest du mit dem Begriff „Klimawandel“?«

Die Angst davor, vor meinen Kindern und ihrer Generation schuldig zu werden oder es schon zu sein.


Petra-Janina Schultz
Schauspielerin

»Was müsste passieren und was davon traust du dir zu umzusetzen?«

Es geht um eine gesellschaftliche Neubewertung von Leistung, von Status, von Anerkennung. Weg von schneller, höher, weiter hin zu einer Wertschätzung der endlichen Ressourcen.
Der Prozess ist schon losgetreten, wir sind nur sehr langsam.
Im Moment ganz klar zu langsam.

»Was hindert dich daran es umzusetzen?«

Ich habe vor einem Jahr aufgehört zu rauchen, zum sechsten oder siebten Mal, weil es mir so höllisch schwer fällt. Genauso ist es mit meinem Verhalten bezogen auf den Klimawandel: es fällt mir schwer. Manchmal bin ich zu faul, manchmal zu bequem, manches weiß ich vielleicht wirklich noch nicht. Aber vieles schaffe ich auch schon! Und ganz wichtig: für bestimmte Veränderungen fehlt mir auch das Geld. Wir brauchen gleichzeitig eine Veränderung des Sozialstaates.

»Gibt es eine Lektüre, Film, Musik, Begegnung, die dich während des Arbeitsprozesses inspiriert beeindruckt, provoziert hat?«

Eigentlich inspirieren mich all die Menschen, die bereits Dinge in viel größerem Maß bewegen als ich das tue. Sich konsequent damit beschäftigen, das hilft. Diverse Newsletter, die ich mittlerweile abonniert habe.

»Welches Gefühl verbindest du mit dem Begriff „Klimawandel“?«

Sorge. Aber auch der Wunsch, etwas verändern zu wollen.


Sofie Alice Miller
Schauspielerin

»Was müsste passieren und was davon traust du dir zu umzusetzen?«

Es müsste ein grundlegender struktureller Wandel passieren, der auch die sozialen Aspekte des Klimawandels mit berücksichtigt. Wir brauchen ein neues Wirtschaftssystem, das nicht weiter auf Wachstum, Ausbeutung und Zerstörung setzt, sondern mit unserer Natur und den Ressourcen unserer Erde nachhaltig umgeht. Die Verantwortung für diesen weitreichende Wandel kann nicht nur auf die Konsument*innen übertragen werden, und darf kein Privileg für wenige Gutverdiener sein. Klimaschutz muss unabhängig von sozialem Status und Lebensort ein Grundrecht für alle werden. Eine andere Beziehung und Bewusstsein muss entwickelt werden, die uns als Menschen wieder als Teil der Natur sieht, und damit deren Schutz und Erhalt als Grundlage begreift. Trotzdem versuche ich auch als Einzelperson in meinem Alltag mein Konsumverhalten so umweltbewusst wie möglich zu gestalten.

»Was hindert dich daran es umzusetzen?«

Ich finde ich müsste politisch aktiver sein. Bis jetzt bekomme ich es nicht hin, dem genug Zeit in meinem Leben einzuräumen. Zum Teil hindert mich die Infrastruktur der Supermärkte (Plastikverpackungen), oder Hygieneregeln( die untersagen den eigenen Becher zu füllen..) und die Verpackungsberge bei Essenbestellungen zum Mitnehmen etc. Und zum Teil der Geldbeutel. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, würde ich auch komplett nur im Bioladen einkaufen. Das darf keine Frage des es sich leisten Könnens bleiben!!!

»Gibt es eine Lektüre, Film, Musik, Begegnung, die dich während des Arbeitsprozesses inspiriert beeindruckt, provoziert hat?«

Bruno Latour “das terrestrische Manifest”, Luise Neubauer, Anna Braam. Richtig heftig provoziert und wütend gemacht, hat mich die Phase als Ralf die Statements dieses Klimawandel- Leugners Fritz Vahrenholt fasziniert in die Runde getragen hat. Da hatte ich kurz Angst, dass wir dieser Haltung möglicherweise Raum geben.

»Welches Gefühl verbindest du mit dem Begriff „Klimawandel“?«

Tatendrang, Hilflosigkeit, Verzweiflung an der Menschheit, grundlegende persönliche Fragen zur Lebensgestaltung wie z.B. Kinder.


Ralf Siebelt
Regisseur

»Was müsste passieren und was davon traust du dir zu umzusetzen?«

Wirklich anders leben.

»Was hindert dich daran es umzusetzen?«

Faulheit. Dummheit. Schwäche.


Simone Sterr
Autorin

»Was müsste passieren und was davon traust du dir zu umzusetzen?«

Mit der Mär brechen, dass es nur Wohlstand gibt, wenn die Wirtschaft wächst und sich als Konsument*in entsprechend verhalten.

»Was hindert dich daran es umzusetzen?«

Feigheit. Bequemlichkeit.

»Gibt es eine Lektüre, Film, Musik, Begegnung, die dich während des Arbeitsprozesses inspiriert beeindruckt, provoziert hat?«

Wir haben so unendlich viel gelesen, geschaut, gesprochen…
Tim Jackson „Wohlstand ohne Wachstum“, als Standardwerk der Postwachstumsökonomie. Nico Peach, Al Gore. Die Begegnung mit Gunnar Sprehn (leider nur per zoom). Die Recherchereise ins Braunkohleabbaugebiet nach Garzweiler. Die Dokumentation „Expedition Arktis“. Magazin Royal von Jan Böhmermann zum Thema Sand. Inspiration schlechthin: das Meer vor unserer Haustür. Der sommerliche Strand von Norderney. Eisiger Wind und fliegender Sand auf Borkum. Langeoog im Winter.

»Welches Gefühl verbindest du mit dem Begriff „Klimawandel“?«

Scham.

99 Schritte


Die Schwarze oder
Die Grüne Null

EIN GESPRÄCH MIT RENATE HEITMANN

»Liebe Renate, zeitgleich zur Entwicklung unseres Stückes zum Klimawandel kuratierst und veranstaltest Du die Reihe „Netzgespräche“, in der Du einen Austausch stiftest mit dem Regieteam, dem Ensemble, Expert*innen und Wissenschaftler*innen. Gab es eine Begegnung in dieser Reihe, die dich besonders beeindruckt hat?«

So einem, viel wissenden, klassischen Dramaturgen wie Frank Raddatz zu begegnen, das war schon toll. Als würde man eine Bibliothek treffen. Wir hatten ihn eingeladen, um von seinem, an der Volksbühne gegründeten „Theater des Anthropozän“ zu erzählen.

»Ich fand Gunnar Spreen und seine Berichte von der Polarstern-Expedition ja unheimlich bereichernd«

Diese Begegnungen schenken uns ein Wissen, von dem wir im Theater profitieren, das wir aber auch weitergeben, in lebendigen einmaligen Momenten und uns so gegenseitig weiterbringen.

»Geht die shakespeare company mit dem Projekt 99 SCHRITTE ZUM MEER programmatisch neue Wege?«

Das wir so auf den Punkt mit dem Thema sind ist schon sehr besonders. Wir alle sind sensibilisiert und die Pandemie hat noch mal eine Erfahrung zugefügt. Natürlich auch die Katastrophen die passiert sind und weiter passieren werden. Wir alle nehmen das Thema ernst. Sicher finde ich das Thema auch in „Der Sturm“ oder im „Sommernachtstraum“, wenn Titania das Durcheinander der Jahreszeiten, die aus der Spur geratene Natur beschreibt und sagt „Wir sind der Grund des Übels“. Aber es schien uns richtig und wichtig jetzt nicht mit der Metapher zu reagieren, sondern mit Realität, mit einer ganz realistischen heutigen Geschichte.

»Sich dieser Realität inhaltlich zu stellen ist das eine, die Herausforderung, den Klimawandel aufzuhalten ist das andere. Was bedeutet das für das Theater?«

Wie gehen wir mit Ressourcen um? Da sind wir noch der alte Diesel auf der Straße und müssen das angehen, wenn wir das Theater als gesellschaftlichen Entwurf und als Ort der Utopien verstehen. Wir als shakespeare company haben traditionell nicht so viel zur Verfügung und gehen von daher ohnehin sehr sparsam um mit Mitteln, setzen schon immer auf Wiederverwendung, Recycling. Überfluss und Verschwendung war nie unser Stil. Vielleicht ein Mini-Blockheizkraftwerk, was uns autonom macht, das wäre schon spitze.

»Klimaneutrale Kulturbetriebe. Siehst Du eine Chance dafür in absehbarer Zeit. Was müsste die Kulturpolitik, was müssten die Akteuer*innen der Szene dafür tun?«

Es ist ein Thema in der Kulturpolitik. Da müssen wir uns einbringen. Mit Ingenieurswissen und Erfindungsgeist lässt sich viel machen. In Fotovoltaik auf Theaterdächern z.B. muss man aber auch investieren wollen und sich entscheiden „will man die schwarze Null oder die grüne Null“. Shakespeare hat ja auch ein Theater entwickelt und es sich gebaut. Auch aus der Frage heraus, wie wir mit den Elementen umgehen. Wie sähe so ein Theater für unsere Gegenwart aus? Ich würde an seiner Entwicklung auf jeden Fall gerne mitarbeiten.

»Und ich würde es gerne sehen. Danke für das Gespräch.«

Die Fragen stellte Simone Sterr