Zum Stück
Im Juni 2013 gewann bei den 2. Privattheatertagen die Inszenierung “Richard III” den Monica Bleibtreu Preis in der Kategorie „(moderner) Klassiker“.
Damit ist nach 2012 die bremer shakespeare company bereits zum 2. Mal mit dem Preis der Privattheatertage ausgezeichnet worden.
Trailer
„I have set my life upon a cast,
And I will stand the hazard of the die.“
Richard III, Akt 5, Szene 4
Wer ist Richard III? Richard III – seit Generationen das Inbild des abgrundtief Bösen, der homo homini lupus, der Schlächter. Richard Gloucester - der Missgestaltete, der radikal Einsame in einer Gesellschaft, deren Mitglieder nicht weniger Schuld als er auf sich geladen haben, aber die Unschuldigen spielen. Richard, letzter König des Hauses York, ein Spieler- Virtuose, dessen ideenreiches Machtspiel mit höchstem Einsatz in die Selbst-Vernichtung führt.
Auf seinem Weg an die Spitze eines verkommenen Staatsgebildes ist Richard entschlossen und ohne Skrupel. Er tötet seine engsten Verwandten, schreckt auch vor Morden an Kindern nicht zurück, wirbt um die Witwe eines von ihm ermordeten Prinzen, lässt seine Komplizen nach getaner Arbeit köpfen. Die Frauen in seinem Reich, angezogen von seiner Verführungskraft, abgestoßen von seiner Bösartigkeit, benennen seine Verbrechen, verfluchen ihn - und vermögen dennoch nicht, ihn aufzuhalten. Als alle Gegner geflohen oder geschlagen sind, England zu einem öden, verlorenen Land zu werden droht, formiert sich Widerstand in Frankreich. Ein neuer Held, Richmond, beansprucht den Thron und verspricht dem Land den Frieden. In der entscheidenden Schlacht vernichtet Richard sein letztes Opfer, sich selbst. Weit müssen wir nicht schauen, um die Richards unserer Zeit zu entdecken, die Gesellschaften und politischen Systeme, in denen Vertrauen tödlich sein kann, Verrat nützlich und ein Menschenleben wertlos ist; in denen Grausamkeit erwünscht und ein Gewissen störend ist.
Ricarda Beilharz inszeniert die Figur Richard III als exemplarische Fallstudie eines Mannes, den ein in sich korruptes System hervorgebracht hat. Die Gefährlichkeit seines Charakters ist keine singuläre, degenerierte Erscheinung, sondern ist zugleich Spiegel und Kulminationspunkt jener Gesellschaft, aus deren Mitte er stammt. Die Figuren um ihn herum, die er mordet und manipuliert, tragen alle das Potential und jene Charakterzüge in sich, die Richard III zeigt, jedoch ist er allen anderen überlegen: er folgt den Gesetzen seiner „Freiheit“. Einer Freiheit, die den „Mitspielern“ die Sklaverei bringt.
Pressestimmen
Dass „Richard III“ lediglich ein Produkt der Gesellschaft sei, in der er seinen Weg nach oben machen will, das war die angekündigte Lesart. Allerdings denkt Beilharz diese Genesis offenbar eher von der Psyche her als von der Gesellschaft. Surreale Traumszenen, in denen sich die Rückwand bedrohlich nach vorn neigt und Richard zu erdrücken droht, deuten darauf hin. Eine konkrete Gesellschaft kann, andersherum gesagt, schließlich auch kaum gemeint sein, wenn sich Kostüme elisabethanischen Stils und Anzüge unserer Gegenwart so umstandslos begegnen. Dabei wäre doch genau das Interessante an so einer These: Wie eine Gesellschaft denn eigentlich exakt beschaffen sein muss, damit sie genau solche Figuren hervorbringt? Insofern hinterlässt einen diese Inszenierung ratlos. In guter Erinnerung bleiben vor allem drei Dinge: das schlichte Bühnenbild, das mit einem ausgefeilten Beleuchtungsdesign, Kunstnebel und der dezenten Musik von Roman Beilharz immer wieder neu ausgelotet wird, ein streckenweise furioser Michael Meyer in der Hauptrolle und nicht zuletzt einer jener typischen Shakespeare-Company-Momente: Wenn sich eine der sage und schreibe sieben Figuren Christian Bergmanns einklinkt und versucht Ordnung in das Gewimmel der vielen Edwards, Heinrichs und Richards zu bringen. Diese verkommene Gesellschaft hat keinerlei Interesse an Aufklärung, sondern kreist lieber weiter um sich selbst. Sie wird mit den Folgen bekanntlich noch eine ganze Weile leben müssen bis endlich Frieden herrscht.
Kreiszeitung
Die sieben Schauspieler bieten dem Publikum ein temporeiches Spektakel. Sex, Macht und Intrigen sind die Werkzeuge des britischen Königs (Michael Meyer) und er weiß sie vielfach einzusetzen. Richard ist kein angenehmer Zeitgenosse und gilt nicht umsonst als die fieseste Figur der Theaterwelt. Es ist Michael Meyers Verdienst, dass diese Boshaftigkeit auf sympathische Weise deutlich wird. Zielstrebig, aber doch mit der Lässigkeit eines Cowboys, steuert er auf den Thron zu. Wer ihm den Weg versperrt, wird weggetreten. Wer sich nicht beseitigen lässt, dem helfen die mausgrauen Untertanen Buckingham (Peter Lüchinger) und Hastings (Frank Auerbach) mit behördlicher Genauigkeit nach. Der BSC gelingt es, die historischen Machenschaften ins Hier und Jetzt zu holen. Ergänzt wird die Partie des charismatischen Königs durch drei starke Frauen. Lady Anne (Teresa Rose) und Königin Elisabeth (Kathrin Steinweg) sind in einem Gefühlschaos zwischen Abscheu und Bewunderung für den Monarchen und Blender gefangen. Das Wechselspiel der Rollen in immer wieder andere starke Charaktere fesselt. Am Leibnizplatz holt man die Geschichte in die Gegenwart.
Weser-Report
Ricarda Beilharz setzt auf ein ausgefeiltes Lichtdesign, das die schlichte Bühne, eine schiefe Ebene, hinter der eine Wand aufragt, beides moosig-grünbraun überzogen, immer wieder neu auslotet. Nebel evoziert trübe Witterung – es ist schließlich der Winter unseres Unbehagens –, die Musik von Roman Beilharz verstärkt die Stimmungen subtil. In diesem durchaus reizvollen Setting spielt sich die blutige Karriere unseres Helden ab.
Michael Meyer, bei der Company auf sinistre Typen abonniert, ist eine würdige Besetzung für diesen skrupellosen Aufsteiger. Er gurrt, charmiert, barmt, zetert, feixt und schäumt, was immer es eben braucht, um ans Ziel zu kommen. Paraderolle. Auch seine Kolleginnen und Kollegen machen ihre Sache überwiegend gut bis sehr gut.
nachtkritik
William Shakespeares Richard III. ist der Inbegriff des Bösen. Und zwar doppelt, weil er nicht zwanghaft alle dahinmeuchelt, sondern sich frei dafür entscheidet. „Weil ich den Liebhaber nicht spielen kann“, übersetzt Nachdichter Thomas Brasch den Eingangsmonolog, „hab ich beschlossen, hier den Dreckskerl aufzuführen.“ So wie das Stück den Unterschied von sozial-politischer und persönlicher Sex-Beziehung verunklart, erodiert es die Differenz von Ich und Gesellschaft, vom Einzelnen und seinem Clan. So legt Beilharz in diesem Drama aus der Zeit der Erfindung des modernen Subjekts den Quellcode von dessen postmodernen Krisen offen: Das Zentrum verwaist und durch eine Vielzahl von Prätendenten, von Erben und ambitionierten Witwen belagert, die Richard als erster unter ihnen beseitigen und unterwerfen muss, um dann selbst besiegt zu werden. Das Ziel der Geschichte, das erst Zusammenhang stiftet, fehlt. Das Innen ist das Außen – noch. Und der als Makel empfundene Körper ist der böse Geist, hässlich ist schön, und der Sinn prekär. Beilharz hat für diese im Werden – und Scheitern – begriffene Identität, dieses Mingle-Mangle aus sozio- und psychologischer Personenkonzeption deutliche Bilder gefunden. So zerquetscht sie Richard allmählich unter der vorkippenden Rückwand, während der sich gegen die Niederlage stemmt, tobend und schreiend, unangenehm schreiend, maßlos schreiend, schreiend bis zum Kollaps. Heftig.
Den ergreifendsten Moment aber setzt doch die reine Poesie des Anfangsmonologes. Beilharz hat ihn auf alle Spieler verteilt, mehrsprachig und polyphon gesetzt wie eine Fuge. „Jetzt folgt dem Winter unserer Wut“, so fängt’s an, „der Sommer unserer Macht, die Sonne Yorks“, im sich lichtenden Nebel. Und als Zweiton-Signal quäkt dazwischen die zänkische Selbst-Behauptung eines Ichs: „But I“, „But I“, „But I“. Und es klingt wie eine Warnung.
taz
Die Shakespeare Company präsentiert den Tyrannen als explosiven Spaßvogel. Wer gegen wen? Die Regie von Ricarda Beilharz fasst dieses Grundmotiv vor allem als ein gruppendynamisches Problem auf. Jene sechs Figuren, die zu Beginn in einem kräftig quellenden Bühnennebel positioniert sind, stellen eine tief verschränkte Schicksals-Gemeinschaft dar, mit tückischen Allianzen. Das gesprochene Wort bricht auf der neu renovierten Bühne am Leibnizplatz mit oftmals explosiver Überwältigungskraft aus den Körpern der Beteiligten heraus. Was ja auch durchaus Sinn macht, denn Shakespeare hat einen Großteil der geschilderten Gewalt in den eleganten Faltenwurf seiner Verse gekleidet. Figuren gehen sich ohne Vorwarnung flugs an die Gurgel, Pistolen hat sowieso fast jeder dabei, und den zum Abschuss frei gegebenen Hastings (Frank Auerbach) lässt man sich beispielsweise ganz schön fies unter dem Stock der Königin (Kathrin Steinweg) zu einem Limbo-Tanz verbiegen. Richard gibt hier Michael Meyer als einen drahtigen Giftzwerg, zunächst allerdings ohne übertriebene diabolische Allüren. Allzu viel Verstellung scheint dieser nette Wüstling gar nicht nötig zu haben, wenn er beispielsweise in der berühmten Szene um die Hand der Prinzessin Anne wirbt, welche wiederum von Theresa Rose ganz fabelhaft gespielt wird. Dieses Energielevel wird auch an anderen Stellen konstant hochgehalten, mal von Peter Lüchinger als freundlich-fieser Buckingham, mal von Ulrike Knospe als Königin Margarete. Immer wieder durchkreuzt Christian Bergmann in zahlreichen Rollen das Geschehen mit veralbernden oder erklärenden Einschüben.
Weserkurier